48. Blog – Mischmasch oder Vorsehung?

in Marc Aurels Selbstbetrachtungen (Sechstes Buch, S. 67) lese ich heute Morgen: „Entweder ist die Welt ein Mischmasch in gegenseitiger Verflechtung oder eine Einheit in Ordnung und ein Werk der Vorsehung. Wenn Ersteres zutrifft, welchen anderen Wunsch habe ich noch als den, irgendwie zu Erde zu werden? Wenn aber das andere der Fall ist, dann beuge ich mich in Ehrfurcht, bin guten Mutes und voll Vertrauen auf den Weltenlenker.“

Dem schließe ich mich an. Mein Leben ist von Geburt an eine Sequenz von glücklichen und herausfordernden Fügungen, die ich staunend betrachte und reflektiere.

Fügungen werden zu Handlungsimpulsen

Beispielsweise: Ich bewerbe mich nach der Promotion um ein Fulbright Stipendium, um in Michigan, USA, Gruppendynamik zu studieren. Eine Person aus der Auswahlkommission fragt mich, was ich als Sudetendeutscher denn von dem Münchner Vertrag hielte. Naiv versuche ich ihm das damalige Dilemma der Sudetendeutschen zu erklären. Es gelingt mir nicht. Ich werde abgelehnt. Groß ist mein Schrecken als ich die gleiche Person in der Auswahlkommission des British Council vorfinde, die mich höhnisch fragt, ob ich denn wohl Stipendien sammeln würde. Ich gerate außer Rand und Band, fühle mich ungerecht behandelt, bin sehr wütend und konfrontiere diesen Professor, der diese Berufsbezeichnung nicht verdient, äußerst aggressiv. Innerlich habe ich das Stipendium aufgegeben. Dann schaue ich mich in der Runde um und sehe anerkennendes Lächeln auf den Gesichtern der britischen Personen in der Auswahlkommission, die meine Zivilcourage offensichtlich zu schätzen wissen. Ich erhalte tatsächlich das Stipendium.

Fügung des Herzens

In dem ersten Gruppendynamikseminar in London öffne ich am ersten Tag die Tür des Tagungsraums. Die erste Person, die ich sehe ist Patricia, die auch an dem Seminar teilnimmt. Es kommt wie es für mich kommen musste. Wir verlieben uns und treffen uns immer wieder.

Neben dem Studium lerne ich auch mit ihren Augen Yorkshire, Wales , Schottland, Leeds und London kennen und lieben. Wir heiraten. Kein Wunder, dass ich anglophil bin. Wir haben drei Kinder, die bei München aufwachsen und in England studieren und arbeiten. Manchmal bilde ich mir ein, dass wir so auch einen Beitrag zur Versöhnung von England und Deutschland nach dem Kriege geleistet haben. Immer mehr glaube ich an Fügungen und an Vorsehung, wenn nicht gar an Wunder.

Schatten der Vergangenheit

Mein Vater musste zuerst als Sudetendeutscher zum tschechischen Militär einrücken. Er wurde dann von den Deutschen übernommen. Ich erinnere mich an seine Erzählung, dass er nie verstehen konnte, dass die Deutschen damals das Angebot der Ukrainer, mit ihnen gegen die Russen zu kämpfen, arrogant abgelehnt hätten. Jetzt ist es anders.

Meine zweite Frau hat einen russischen Vater, der von den Nazis mit seinen Brüdern umgebracht wurde. Meine Frau wurde auf der Flucht geboren. An meinem ersten Geburtstag fallen die Nazis in Polen ein. Welch eine Fügung.

Reflektion

Manchmal geht mir durch den Kopf und durchs Herz, was wir zur Völkerverständigung beitragen könnten. Einen Grund muss es doch geben, warum meine Frau Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin und ich systemischer Familientherapeut, Gruppendynamiker und Organisationsentwickler geworden sind.